Oder auch: Wie geht’s uns denn so?

Die Tage ziehen sich wohl immer, wenn man in Tagen lebt, die später mal als „Tage von…“ bezeichnet werden. Während ich allerdings am Lesen, am Schreiben, am Lernen mit meinem Bruder bin, habe ich nicht das Gefühl eine geschichtsträchtige Phase mitzugestalten. So überhaupt nicht.

Seit dem Beginn der Quarantäne-Zeit ist meine Familie in eine seltsame Überaktivität verfallen, in einen Planungswahn – alles was sonst für die Urlaubsplanung an Ressourcen verbraucht wird, fließt nun ungehindert in Haus, Garten, wasweißich. Plötzlich kann mein Vater alles selbst bauen, findet mein Bruder alles total brauchbar und meine Mutter alles ‚eine Überlegung wert`. Ich steh kopfschüttelnd daneben; das ist meine Funktion.

Um meine Kopfbewegung real nachempfinden zu können, hier die Top 3 der plötzlichen Projektplanungen:

  • Ein großer Swimmungpool. So ein Ding erfordert abartig viel Pflege, ergo hat man eine sommerfüllende Beschäftigung. Mein Bruder ist in heller Begeisterung, ich allerdings mag nicht den Toskana-Urlaub gegen Kalktabletten, Wassertemperaturmessung und Algenbekämpfung eintauschen. Während von seiner Seite das Modell 3 x 4 x 2m bevorzugt wird, frage ich vorsichtig ob’s nicht auch eine aufblasbare Version tun würde?
  • Nummer 2: Ein Hochbeet. Allerdings eines, das dem Fassungsvermögen eines großen Swimmingpool erschreckend nahe kommt. An die grausamen Schneckenprobleme, die meine Eltern beschreiben, erinnere ich mich kaum, finde aber die Vorstellung von Salat- und Tomatenpflänzchen irgendwie süß und außerdem auch hygienisch. (An dieser Stelle ein Vorgriff: der Vorschlag ist gestorben, auf unserem Balkon stehen stattdessen acht sehr große Pflanztöpfe. Ist ja fast dasselbe.)
  • Endlich Fensterläden an das Haus dran bekommen! Das klingt nicht schlecht, immerhin weisen unsere Fenster seit Beginn die entsprechenden Vorrichtungen dafür auf. In denen mittlerweile jährlich Insekten nisten (heißt das nisten? Brüten? Mit Erdzeug vollstopfen?). Nach intensiverer Überlegung merke ich allerdings an, dass Fensterläden in puncto urlaubsähnlicher Entspannung zu wenig nütze sind und lediglich nett aussehen. Außerdem sind sie deutlich teurer.

Mit solchen und anderen Vorschlägen kann man sich auch beschäftigt halten. Am Ende dessen erwähnt irgendwer dann immer noch die sommerliche Radtour quer durch Deutschland  – einen Plan, den ich für gewöhnlich mit einem ironischen, leicht hysterischen Auflachen konsequent ablehne. Ist das der ganz normale Wahnsinn? Wie sieht das bei anderen aus? Kann mich bitte irgendjemand beruhigen?

Zwei Kommentare anderer Personen, die auch zwischen dem Ringen nach Normalität und Ablenkungsversuchen schwanken:

Anna Strotmann, Mitabiturientin 2019 und Freundin, ist die einzige mir bekannte Person, die nicht aufgrund von Corona aus dem Ausland zurück nach Hause gekommen ist. Sie hat ausgeharrt, ausgeharrt in der Natur, in einer Ecke, die offenbar sehr unberührt von allen Veränderungen geblieben ist.

Da ich aktuell noch in Norwegen bin und als Freiwillige auf einer Farm helfe, habe ich von der Corona-Krise bis nicht sehr viel mitbekommen. Hier auf dem Land vergisst man fast, dass dieses Problem existiert. Wir leben zur Zeit mit sieben Leuten auf der Farm und arbeiten 5 Tage die Woche, so geht die Zeit schnell rum. Von Freunden und Familie erfahre ich viel über die Lage in Deutschland und jetzt, wo ich meinen Rückweg ins Allgäu plane, ist mir die Situation erst richtig bewusst geworden.

Ein paar ihrer Bildeindrücke, die sie von der sonstigen Lage ablenken, hat sie geteilt:

Stefanie Kemper, Lyrikerin und ehemalige Lehrerin aus Isny,  hingegen hat vor Ort ausgeharrt und sich wie viele in dieser ungewohnten Situation genauer als sonst selbst beobachtet. Dazu hat sie ein Kommentar voller Einblicke verfasst:

Wenn es nur nicht dieses außergewöhnlich krankmachende Virus gäbe! Noch nicht einmal eine lebende Zelle ist das, nicht Fisch nicht Fleisch, nur ein paar größere und kleinere organische Moleküle – und solch immense Probleme bereitet es uns ! – Die derzeitige Menge an Zeit wegen dieses Krönchenpartikels könnte bei mir jedenfalls so weitergehen ! Das heißt: eigentlich habe ich doch wieder keine Zeit, was an meinen diversen Interessen liegt. Aber fange ich von vorne an: als die Einschränkungen wegen des Virus begannen, kam eine große Ruhe über mich, weil es plötzlich keine Termine gab, die nicht verpasst werden durften. Und die Umgebung wurde stiller.
Was habe ich seitdem Anderes oder intensiver getan als vorher?  Eine Geschichte habe ich fertig geschrieben und für einen Literaturwettbewerb eingeschickt, habe Gedichte geschrieben, die für eine Vertonung vorgesehen sind, schreibe derzeit an Reisenotizen.
Gelesen habe ich zum Beispiel Peter Huchel, Olga Tokarczuk, Utz Rachowski (Gedichte und Essays), eine Biografie über Walter Benjamin, einen dicken Ausstellungskatalog über das zeichnerische Werk der Else Lasker-Schüler. Noch nicht fertig gehört habe ich das Hörbuch über 20 Stunden: Lion Feuchtwanger (Erfolg, Die Gebrüder Oppermann, Exil)… Stopp an dieser Stelle! Es gab und gibt ja noch das Hinaus-aus-dem-Haus ! Wie bisher koche und esse ich das auch, trinke, putze und bügele. In vielen Haushalten soll es jetzt sehr sauber sein. Wie das bei mir ist, darüber müssten Besucher etwas sagen, aber die dürfen nicht kommen. Wäre es schmutzig, so würden sie es nicht sagen. – Und  was wünsche ich mir für die kommende Zeit?
Entlastung für alle, die während dieser Zeit hart arbeiten mussten und noch müssen, dass sie sich von schlimmen Nachwirkungen erholen können. Ich wünsche mir während der „Lockerungen“ viel eigenverantwortliches, hygienisches Verhalten der Menschen ohne Verschwörungstheorien gegen unseren Staat. In ein Café möchte ich wieder gehen, Menschen treffen, mich unterhalten und – natürlich – alle wiedersehen zu den Verpflichtungen, deren Ausfall ich zuerst als Zeitgewinn genossen habe. Vielleicht erkenne ich ja niemanden mehr wieder, weil die Haare lang sind und die Haut mittlerweile bepelzt ist ?  Ich werde ja sehen…

 

Was ihr erlebt, was euch beschäftigt, was euch motiviert? Das dürft ihr mir nach wie vor gerne in einer E-Mail oder einem Kommentar erzählen!
Vielleicht kann mir ja auch irgendjemand erklären, warum Hochbeete in der Größe eines Schwimmbeckens ganz normal und in keinster Weise beunruhigend sind. Demjenigen würde ich Blumen (alternativ Salatpflänzchen) schicken.

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