Das große Resümieren hat begonnen.

Egal wo man hinsieht oder hinhört, in jedem Radiobeitrag, jeder Kolumne wird jetzt diskutiert, was wir aus den vergangenen Wochen alles mitnehmen.
„Was hat Ihnen der Lockdown gezeigt? Was können und sollten wir perspektivisch für die kommende Zeit verbessern?“
Ahja und hier mein tausendfach wiedergekäuter Favorit: „Was haben Sie aus der Zeit gelernt?“

Klar, Punkt Nummer 1: Viren sind hinterhältige Biester. Punkt Nr. 2: Familien sind eine anstrengende Sache.

Ab Punkt Nummer 3 reiht sich dann  eine ganze Corona-Erfahrungspalette auf, von Entschleunigung bis Verzweiflung ist alles dabei, jeder will irgendetwas aus dieser Zeit gelernt haben, jeder will etwas erkannt haben, jeder will die Dinge jetzt – wann, wenn nicht jetzt – anders sehen.

Und irgendwann kann ich es dann nicht mehr hören, dieses ganze Mehrwertgerede, das schließlich in den allermeisten Fällen darin endet, wie schön es war, dass alle plötzlich Zeit für Hefeteig hatten.
Das soll’s gewesen sein?, frag ich mich.
Die verkorkste 1. Hälfte des Jahres 2020 ist vorbei und im Zentrum des Resümée: Ein bakterienaufgeblasener Klumpen Teig. Der wird zum Glücksmoment unseres Alltags und beschreibt die Lage der Nation – denn a) es vermehrt sich etwas (Hefebakterien vs. Covid-19) und b) es gehrt etwas (Teig vs. allgemeine Stimmungslage).

Ich muss jedoch zugeben, dass auch ich mich dabei ertappt habe, überproportional viele Hefezöpfe, Brotlaibe und Kuchen zu backen. Aber immer mit einem lächerlichen Beigeschmack, sobald ich die Knethaken rausgesucht hatte.

Fragt man mich ernsthaft nach meinem Mehrwert der (sehr akuten) Corona-Krisenzeit, würde ich spontan antworten: Davor wusste ich einen gefüllten Briefkasten nicht zu schätzen.

Das ist jetzt anders. Jeden Mittag checke ich sehr akribisch unsere angekommene Post und diese Tätigkeit ist tatsächlich zu einem kleinen Höhepunkt des Tages geworden. Euphorisch und im Jogginganzug bewege ich mich zum Kasten, wobei mir sowohl mein Outfit, die Nachbarn oder mein Eindruck auf die Außenwelt gleichgültig geworden sind.
Was daran so toll sein soll? Aufgepasst: Die täglich eintreffende Post vermittelt mir das Gefühl einer fortbestehenden Beständigkeit, die Werbungsflyer sind noch immer schrecklich schlecht und bunt, die Rechnungen kommen noch immer an (dieser Punkt ist bedauernswert).

Aber immer wieder, zwischen all diesem gewöhnlichen Papierkram: Quarantäne-Post, adressiert an mich. Zu Beginn der Krise haben eine Freundin aus Schwerin und ich beschlossen uns Karten zu schreiben, witzige bis lyrische Updates auszutauschen.
Bis wir so viel Gefallen daran hatten, dass wir begonnen haben auch anderen zu schreiben, schließlich sogar völlig Fremden, da wir jedem, der uns bereitwillig seine Adresse gab, mit ein bisschen Post erfreuen wollten.

Manche haben geantwortet – und der Briefkasten hat sein langweiliges Image für mich verloren.

Der Brief mit seinem leicht angestaubten und formalen Anstrich hat bei mir sein persönliches Revival erlebt. Sich mitteilen, sich ermuntern, sich verbinden – das wollten wir doch alle in dieser möglichst kontaktlosen Phase. Die Quarantänepost hat all das geschafft. Durch den Stillstand ist ein bisschen Post geflattert und damit auch kindliche Vorfreude auf Antworten, Austausch, handbeschriebene Umschläge im Briefkasten.

Wer also immer noch dabei ist, seinen Hefeteig an einem warmen Ort ruhen lässt: Schreib doch. Füll irgendwo einen Briefkasten.

So bleiben am Ende dieses Resümée, dieser Zeit, vielleicht ein paar verschickte Karten an den Pinnwänden oder Kühlschränken hängen, wandern in Erinnerungskisten oder Schreibtischschubladen.

Denn so ein Hefezopf dagegen hält erfahrungsgemäß allenfalls übers Wochenende. Vielleicht sollte man das als Nachsatz hinter all diese Hefeteig-Lobhymnen schreiben: Achtung, dieser Mehrwert wird aufgegessen.

One Comment

Hinterlasse einen Kommentar