„Ja, das klappt alles super.“
Mein Bruder hat seinen Klassenlehrer am Telefon. Der erkundigt sich, wie es seinen Fünftklässlern mit dem Lernen zu Hause geht und ob sie auf Stand sind.
Meine Augenbrauen sind hochgezogen, fast bis zur Decke. Völlig neue Dinge dringen an meine Ohren.
„Ich komm gut klar.“
Ich denke an Vormittage, die sich wie Kaugummi ziehen, an das tägliche Ausdrucken aller Aufgaben, an tränenreiche Frustration bei der Ankunft neuer Pläne, an Stift-in-die-Ecke-Geknalle und sich türmende Papierstapel. An „Ich will nicht mehr“ und „morgen nicht schon wieder“ und „Charlotte, du nervst“.

Und jetzt das: Der Lehrer ruft an und statt in diesem Moment auch mal zu jammern, pinselt mein kleiner Bruder das Lernen daheim rosarot an.
Gut, denke ich, immerhin schafft er das und klingt dabei ehrlich.
Gut, dass ihm noch nicht die Tränen kommen, weil er Mitschüler und soziales Miteinander vermisst.
Gut, dass er noch jeden Morgen aufsteht und bereit ist mit den Aufgaben zu beginnen.
Gut, dass er den Stift zwar wütend auf den Boden knallt, dann aber wieder aufhebt.
Und gut, dass diese Homeschooling-Herausforderung zwar meine Vormittage einnimmt, aber ich mich ab Mittag entziehen kann.

Symbolbild zu „Alles klappt super.“

Ohne jetzt von einem „Mehrwert der Krise“ reden zu wollen, nehme auch ich Einiges aus dieser besonderen Situation mit. Beispielsweise musste ich feststellen, dass ein Abitur wohl noch nicht heißt, dass man adverbiale Bestimmung und Adjektiv auseinander halten kann. Oder problemlos Quadratkilometer in Ar umrechnen. War definitiv toll das herauszufinden.

Sogenannte Kreativnachmittage

Meine Nachmittage hingegen versuche ich mit möglichst wenig 5.Klasse Unterrichtsstoff und möglichst vielen, kreativen Beschäftigungen zu füllen.
Doch so super entspannt, wie das zunächst klingen mag, fühlt es sich gar nicht immer an.
Egal ob in sozialen Netzwerken, Magazinen oder im Feuilleton – von überall her hagelt es kreative Vorschläge. Influencer verkünden funkelnde Kreativitätsweisheiten und schmeißen gleich noch passende Entspannungsprodukte her. Es ist eine Flut, ein endlose Schleife an tollen Buchlisten, innovativen Podcastempfehlungen, To-Do-Listen à la „das kannst du machen statt Panik zu schieben“ und unzähligen Vorschlägen für kreative Projekte. Einerseits natürlich schön und verlockend, andererseits sehr erdrückend.
Klappe auf, Vorschlag rein, Klappe zu, kreatives Ergebnis raus.
Es erinnert an kreative Massenabfertigung, Brot und Spiele, Kreativität und Virus. Und natürlich Klopapier. (Hups, das war vielleicht ein wenig zu doll.)

Dennoch: Ich möchte mich nicht gezwungen sehen, am Ende meiner Nachmittage mindestens ein in die Tat umgesetztes Kreativprojekt zu präsentieren.
Nebenbei bemerkt enthalten diese Listen eh zu 95% dasselbe. Es ist wie immer: was drauf steht, muss nicht drin sein, auch wenn der Titel „Quarantäne-Vorschläge, von denen du noch nichts gehört hast“ lautet.

Hier nun also eine Empfehlung der etwas anderen Art:
Sei unproduktiv, manchmal antriebslos, mal haltlos, verunsichert.
Jammer auch mal über die Krise, statt sie als große Chance zu bezeichnen.
Back mit deinem Kind keinen Hefezopf, schieb Pommes in den Ofen.
Beginne ein Buch und leg es wieder weg.
Schieb Panik in der Sonne, dann beruhig dich wieder – ohne dafür Anfänger-Yoga zu machen.
Entscheide nun endlich all die Sachen, die sich angesammelt haben, auszumisten und hör nach dem ersten Stapel auf.
Du musst nicht produktiv oder kreativ sein, du kannst es. Eine Option, kein Muss.

Überhaupt sind kreative Vorhaben oder Freizeitaktivitäten und die Zeit dafür in dieser Krise ein außerordentliches Privileg. Es erscheint mir alles viel zu selbstverständlich, wenn ich irgendwo lese, dass ich nun endlich für dies und das und folgendes Zeit haben sollte. Ich vielleicht schon, ein anderer nicht.

Mitten in meinen „heute-entspannst-du-ohne-kreativen-Zwang“ Plan platzt mein Bruder.
Wir haben heute Morgen einen Englisch-Auftrag übersehen. Ob ich ihn Vokabeln abfragen könne. Immerhin verspüre ich bei Unit 3 „Can you help me, please?“ auch wenig kreativen Anspruch.
Bevor ich mich zu seinem Schreibtisch bewege, notiere ich noch kurz etwas auf meiner Liste für die nächsten, geplanten Blogbeiträge.
-> Kreative Empfehlungen & Buchvorschläge sammeln!
Vielleicht finde ich ja einen Weg euch auch noch meine kreativen Vorschläge unter die Nase zu reiben. Auf besonders innovative Art & Weise versteht sich.

(PS: Erzähl mir von deinen kreativen Vorhaben – auch von den abgebrochenen.
Und vor allem: Welches Buch liest du momentan? Welche Lektüre hilft, bewegt, motiviert?)

One Comment

  • Leo Wolff sagt:

    Kurzarbeit und das Warten auf eine Nachricht

    Kurzarbeit,kein Theater,Kontaktsperre der Tagesablauf ändert sich man vertreibt
    sich die Zeit mit Puzzeln,Filme schauen,Lesen und am Theaterstück schreiben
    unter der Hoffnung das sich die Lage bis Juli bessert und man auftreten darf

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